Sind Honigbienen schädlich für Wildbienen?

Diese Frage höre ich bei Safaris, Vorträgen oder Workshops tatsächlich häufiger. Oft vorsichtig gestellt, als würde man ein Tabu berühren. Bisher kam ich nicht um eine ehrliche, aber ausweichende Antwort herum, denn es ist mir bisher wenig Belastbares dazu begegnet und außerdem ist es kompliziert.

Selber konnte ich konkurrierendes Verhalten schon beobachten, aber was an einer Pflanze geschieht ist sicher erstmal nur ein Hinweis, aber nicht zwingend ein Beweis. Jetzt, im Spätherbst und Winter, nutze ich die Zeit ohne Führungen für intensivere Literaturrecherche und bin auf eine Studie gestoßen, die im März 2025 in Current Biology erschienen ist.

Die Geschichte beginnt 2018 auf Giannutri, einer nur 2,6 Quadratkilometer kleinen Insel vor der toskanischen Küste, Teil des Nationalparks Toskanischer Archipel. Als die Parkbehörden erstmals erlaubten, dass Imker dort 18 Honigbienenstöcke aufstellten, baten sie gleichzeitig Biologen der Universitäten Pisa und Florenz um wissenschaftliche Begleitung. Die Frage: Könnte das den Wildbienen schaden?

Es folgte ein vierjähriges Forschungsprojekt unter Leitung des Doktoranden Lorenzo Pasquali. Von 2021 bis 2024 kartierte das Team systematisch die Wildbienenpopulationen, konzentriert auf die beiden häufigsten Arten, die Dunkle Erdhummel (Bombus terrestris) und die solitäre Pelzbiene Anthophora dispar. Sie zählten die Bienen auf festgelegten Transekten, notierten ihr Verhalten an Blüten und maßen, wie lange sie Nektar saugten.

Das Design der Untersuchung machte diese aber wirklich interessant. An ausgewählten Tagen verschlossen die Forscher alle 18 Bienenstöcke für jeweils elf Stunden, lange genug, dass die Honigbienen die morgendliche Hauptsammelzeit verpassten. Dann wiederholten sie ihre Messungen. Was passiert mit den Wildbienen, wenn die Honigbienen temporär aus dem System verschwinden?

Die Zahlen sind eindeutig und erschreckend zugleich. Wenn die Honigbienen eingesperrt waren, stieg das Nektarvolumen in den Blüten um etwa 60 Prozent, die verfügbare Pollenmenge um rund 30 Prozent. Die beiden Wildbienenarten wurden deutlich häufiger beobachtet, und sie verbrachten mehr Zeit damit, Nektar aus einzelnen Blüten zu saugen. Ein klarer Indikator dafür, dass sie tatsächlich mehr fanden. „Ich hätte wirklich nicht erwartet, dass die Ergebnisse so klar ausfallen“, sagte Pasquali gegenüber dem Magazin Science.[1]

An normalen Tagen sah es jedoch ganz anders aus. Die Honigbienen dominierten die Blütenressourcen vollständig. Das macht Sinn, wenn man ihre soziale Organisation bedenkt. Eine Sammelbiene, die eine ergiebige Blütenquelle findet, tanzt im Stock und rekrutiert Dutzende weitere Sammlerinnen. Solitäre Wildbienen müssen jede Blüte selbst finden. In dieser Effizienz liegt ein massiver Wettbewerbsvorteil. Und genau das ist das Problem.

Aber das eigentlich Alarmierende offenbarte sich über die Jahre: Trotz der gelegentlichen „Entlastungstage“ brachen die Populationen beider Wildbienenarten um etwa 80 Prozent ein. Alessandro Cini erinnert sich an ein Detail, das mich beim Lesen besonders traurig gemacht hat: „Jahr für Jahr wurde das hochfrequente Summen der Anthophora-Bienen, das man beim Wandern auf den Pfaden der Insel hörte, leiser. Es war, als würde die akustische Landschaft der Insel verstummen.“[2]

Jetzt wird es kompliziert. Das Forscherteam formulierte vorsichtig: „Die Honigbienen sind Verdächtige – aber sehr starke Verdächtige“, so Leonardo Dapporto.[3] Können wir mit Sicherheit sagen, dass die Honigbienen den Rückgang verursacht haben? Strenggenommen nein. Insektenpopulationen schwanken natürlicherweise stark von Jahr zu Jahr. Auch das Team selbst notierte, dass die Blütenvielfalt auf der Insel über den Studienzeitraum abnahm, ein weiterer möglicher Stressfaktor. Der Bienenbiologe Alexis Beaurepaire vom Agroscope Bee Research Centre gibt zudem zu bedenken, dass die Dichte der Honigbienenvölker auf Giannutri mit 18 Stöcken auf 2,6 Quadratkilometern doppelt so hoch war wie der europäische Durchschnitt.[4]

Aber (und das ist das entscheidende Aber) die experimentellen Daten zeigen klar, dass die Honigbienen die Blütenressourcen nahezu vollständig monopolisierten. Die wenigen „Lockdown-Tage“ zeigten, was möglich wäre: mehr Nahrung, aktivere Wildbienen, längere Sammelzeiten. Die Mechanismus-Kette ist eindeutig. Weniger Nahrung führt zu geringerer Fitness, was Populationsrückgang zur Folge hat. Dass die temporären Entlastungen nicht ausreichten, um den Trend umzukehren, unterstreicht nur die Dominanz der Honigbienen im System. Die Wissenschaft nennt das „exploitative Konkurrenz“, also Wettbewerb um begrenzte Ressourcen, bei dem die Effizienten die weniger Effizienten verdrängen.

Die Pollinations-Ökologin Maureen Page von der Cornell University nennt das Experiment „sehr einfach und elegant“.[5] Gleichzeitig warnt sie (wie alle Beteiligten) vor voreiligen Schlüssen. Giannutri ist ein Sonderfall: eine kleine Insel, begrenzte Ressourcen, hohe Stockdichte, kein Ausweichen möglich für die Wildbienen. Ein in sich geschlossenes System, das sich nicht eins zu eins auf kontinentale Verhältnisse übertragen lässt.

Trotzdem ist die Studie wichtig, denn sie zeigt unter kontrollierten Bedingungen einen Mechanismus, der auch anderswo wirksam sein kann. Honigbienen können, wenn ihre Dichte hoch genug ist, Wildbienenarten an den Rand drängen. Die Autoren warnen explizit davor, jetzt pauschal Honigbienen aus Schutzgebieten zu verbannen. Dapporto formuliert es so: „Ich hoffe, dass diese Studie neue Forschung anstößt, aber nicht als Entscheidungsgrundlage dient, um Honigbienen überall zu entfernen.“[6]

Das ist ein Aufruf zu differenziertem Management. Die Frage darf jetzt nicht „Honigbienen ja oder nein“ heißen. Sie lautet richtig: „Wo, wie viele, unter welchen Bedingungen?“

Als Wildbienenbotschafter bewege ich mich oft in einem Spannungsfeld. Imker sind wichtige Partner im Naturschutz, viele engagieren sich für Biodiversität, legen Blühflächen an, sind sensibel für Umweltthemen. Gleichzeitig zeigt diese Studie, dass Honigbienen unter bestimmten Bedingungen ein massives Problem für Wildbienen darstellen können.

Und hier könnte ich gleich mit der zweiten Aussage weitermachen, die mir häufig begegnet: „Ich tue ja was gegen das Bienensterben, ich habe jetzt 2 Bienenvölker im Garten.“ Oder: „Unsere Firma hat jetzt Bienenvölker auf dem Dach / Werksgelände.“

Die Parkbehörden auf Giannutri haben bereits reagiert. Für das laufende Jahr haben sie die Honigbienenhaltung auf der Insel verboten. Das Forscherteam untersucht jetzt, ob und wie schnell sich die Wildbienenpopulationen erholen. Auf Veröffentlichung der Giannutri-Erholungs-Daten 2026 bin ich jedenfalls gespannt.

Und jetzt seid ihr dran: Habt ihr in eurer Region ähnliche Beobachtungen gemacht? Sind an Standorten mit vielen Honigbienenstöcken Wildbienen verschwunden? Oder seht ihr Beispiele, wo es funktioniert? Schreibt mir gerne, ich sammle Beobachtungen.


Quellen

Pasquali, L. et al. (2025). Island-wide removal of honeybees reveals exploitative trophic competition with strongly declining wild bee populations. Current Biology.
Direktlink zur Studie: https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(25)00262-3

Stokstad, E. (19. März 2025): When honey bees ‚disappeared‘ on this small Italian island, wild bees feasted. Science.
https://www.science.org/content/article/when-honey-bees-disappeared-small-italian-island-wild-bees-feasted

Fußnoten

[1] Stokstad, E. (2025), Science
[2] Stokstad, E. (2025), Science
[3] Stokstad, E. (2025), Science
[4] Stokstad, E. (2025), Science
[5] Stokstad, E. (2025), Science
[6] Stokstad, E. (2025), Science